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Spieglein, Spieglein an der Wand ...

Das Spiegelbuch für Kindergarten, Hort und Grundschule

Margarete Rettkowski-Felten Michaela Jordan

Erschienen Oktober 2008

88 Seiten, mit vielen Fotos und einem
Spiegel-Poster zum Herausnehmen

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verlag das netz

ISBN: 978-3937785-83-7

Preis: 19,90 €

Leseprobe:

Spiegelbilder gehören bei uns schon in frühester Kindheit zum Entdeckungs- und Erfahrungsfeld. In der Psychologie spricht man von Spiegelungen, wenn es um Reflexionen über das Selbst, das eigene Verhalten, die Gefühle, das Aussehen geht. Die Fragen »Wie wirke ich?« und »Wie bin ich?« spiegeln das Verhalten im Denken wieder. Viele Entwicklungspsychologen sehen in Spiegelungen eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung des Kindes. Donald Winnicott (1898-1971) sah das Gesicht der Mutter als erste Spiegelung des Säuglings. Heinz Kohut (1913-1981) nannte den »Glanz im Auge der Mutter« als notwendige Entwicklungsbedingung.
Seit Kurzem weiß man, dass der Mensch so genannte Spiegelneuronen (bzw. Spiegelzellen) besitzt, mit denen er sich durch bloßes Zuschauen in seinen Gegenüber hineinversetzen kann. Streckt man beispielsweise einem Neugeborenen die Zunge heraus, »antwortet es auf die gleiche Weise, ohne dass es weiß, was es tut.

Anfänglich glauben die Kinder, die Bilder im Spiegel seien real. Legt man einen Säugling mit seinem Spielzeug vor einen großen Spiegel, so versucht er nach einiger Zeit des Nachdenkens, das Spielzeug im Spiegelbild zu berühren. Gerade hat der Säugling gelernt, dass Objekte immer etwas Konstantes sind, sich nicht verändern – nicht einmal, wenn er geschlafen hat. Beim Griff in den Spiegel erfährt er aber jetzt etwas ganz anderes. Das Spielzeug ist plötzlich kalt, glatt und ohne Geruch. Vorher hatte die kleine Ente ein weiches flauschiges Fell, sie war warm und roch nach dem eigenen Speichel. Jetzt ist alles völlig anders. Dieser neue Zustand des vertrauten Spielzeuges beunruhigt und verunsichert das Kleinkind. Es wendet sich verstört ab, zieht die Mundwinkel nach unten und fängt an zu weinen. Behutsam sollte das Kind jetzt vom Spiegel weggenommen und erst nach einiger Zeit wieder einfühlsam mit bunten Gegenständen zum Agieren vor dem Spiegel aufgefordert werden.

Allmählich und nach vielen Spiegelbegegnungen lächelt das Kind seinem Spiegelbild zu, betastet es, reibt und kratzt daran herum, will es in den Mund stecken, um mit Innbrunst daran zu lutschen. Kinder erfahren Ihre Umwelt in dieser Phase mit dem Mund, ihrem wichtigsten Werkzeug und Sinnesorgan.

Ein wenig später entdecken die Kinder ihr Gesicht mit Mund, Nase und Augen im Spiegelbild. Sie schlagen und klopfen auf den Spiegel ein, um festzustellen, ob das Bild verschwindet. Sobald sie aber erkennen, dass sie selbst in der Spiegelung zu sehen sind, spielen sie Verstecken und Wieder-Auftauchen. Tom feiert seinen zweiten Geburtstag. Beim Abendessen ist es schon dunkel, und die ganze Geburtstagsgesellschaft spiegelt sich in der großen Tür. Plötzlich hält Tom inne, zeigt mit der Gabel auf die Tür und ruft: »Da Mama, da! Und da!« Er weist auf das Spiegelbild in der Glastür und auf seine reale Mutter. Doch die Erwachsenen sehen seine Denkleistung nicht und verbessern ihn: »Nein Tom, die Mama ist doch da!« So hat er kein Lob erfahren – seine Beobachtungen und sein aufmerksames Wahrnehmen sind unerkannt geblieben. Enttäuscht isst er weiter.

Der zweieinhalbjährige Robin besitzt bereits ein inneres Bild von sich. In vielen Situationen hat er sich selbst und sein Verhalten beobachtet und erforscht: die Wirkung eines Lächelns oder eines Wutanfalls, das Zeigen und Einsetzen körperlicher Kräfte und vieles, vieles mehr. Die Kinder sind in dieser Phase zum ersten Mal im Prozess des Selbsterkennens und Selbsterforschens. Ihr Verhalten wird von ihnen selbst reflektiert und wahrgenommen. Selbstfindung und Selbsterprobung sind die Hauptthemen in dieser Zeit.